Tobias Hübel / Anne Krönker
Recap
2022
Pigmentdruck
8 verschiedene Motive
124 x 94 cm, 71,5 x 94 cm, 94 x 124 cm
Auflage pro Motiv 5 (+2 AP)
Maske: Setareh Nematollahi
Infotext Kurzführer der Ausstellung
Tobias Hübel und Anne Krönker zeigen eine Reihe großformatiger Fotografien, in denen sie zeitgenössische Fahrradnutzung als nahezu surrealen eigenen Kosmos inszenieren. In Referenz zum Fahrradfahren als Selbstinszenierung und -optimierung, die vor allem in den sozialen Medien nicht anders als beim Automobil, dem gesellschaftlichen Statussymbol Nummer eins, in Bildern und Feeds verbreitet wird und mit der eine sehr spezielle Ästhetik einhergeht, haben Tobias Hübel und Anne Krönker Settings voller Hinweise auf Fahrradprodukte, Fahrradstrategien und Fahrradlebensweisen geschaffen. Deren Künstlichkeit nutzen sie im gleichen Maße für ihre Fotografien, wie sie diese offen legen (siehe das Bild, in dem die Maskenbildnerin die Wunde, die als Beleg für sportliches und riskantes Fahren dient, gerade aufmalt und es dabei gleichzeitig wirkt, als würde sie diese einritzen). Auf diese Weise werden Details wie die völlig absurd wirkende Radlerunterhose, der dunkle Anzug und die dünnen grünen Handschuhe, aber auch die Trinkflasche, die Tätowierungen und das, was man von einem Fahrrad sieht, zu visuellen Irritationen, von denen man kaum glauben mag, dass dies existierende Produkte sind. Wie man auch angesichts der inszenierten Körper das Gefühl einer surrealen Parallelwelt bekommt, die tatsächlich angelegt ist und doch letztlich trotz ihrer künstlerischen Bearbeitung und Ironisierung eine wirkliche Entsprechung in unserer Gesellschaft hat.
— Ingmar Lähnemann, Kurator,
Städtische Galerie Bremen
Tobias Hübel / Anne Krönker
Recap
2022
Pigment print
8 different motifs
124 x 94 cm, 71,5 x 94 cm, 94 x 124 cm
Edition per motif 5 (+2 AP)
Make up: Setareh Nematollahi
Info short guide of the exhibition
Tobias Hübel and Anne Krönker show a series of large-format photographs in which they stage contemporary bicycle use as an almost surreal cosmos of their own. In reference to cycling as self-staging and -optimization, which is — not differently from society’s number one status symbol, the automobil — distributed as pictures and feeds in social media by a very specific aesthetic, Tobias Hübel and Anne Krönker have created settings full of references to bicycle products, strategies and lifestyles. They use their artificiality for their photographs to the same extent that they reveal them (see the image in which the make-up artist is painting the wound, that serves as evidence of sporty and risky riding and at the same time looks as if it were just being carved). This way, details such as the completely absurd-looking cycling underpants, the dark suit and the thin green gloves, but also the drinking bottle, the tattoos and what one sees of a bicycle, become visual irritations that one can hardly believe are existing products. Just as, in view of the staged bodies, one gets the feeling of a surreal parallel world that is actually created and yet ultimately, despite its artistic treatment and ironization, has a real counterpart in
our society.
— Ingmar Lähnemann, Curator,
Städtische Galerie Bremen
(translation by DeepL)
Bremen, 2023
→ Imke Bullerkist
Deep Field Seid ihr wheel?
»Hubble Deep Field (HDF), auch Hubble-Tiefenfeld, ist ein mit dem Hubble-Weltraumteleskop erstelltes Gesamtbild eines recht kleinen Teils des Sternenhimmels, aufgenommen im Dezember 1995 mit damals maximaler technisch möglicher Auflösung. Ausgewählt für das Tiefenfeld wurde ein Bereich des Himmels, der nur wenige verhältnismäßig ›nahe‹ Sterne und Objekte der Milchstraße enthält, so dass Licht von weit entfernten Galaxien bis zu einer Entfernung von etwa 12 Milliarden Lichtjahren gut beobachtet werden konnte. Die Aufnahmen des Hubble Deep Field ermöglichen damit die Untersuchung der Entwicklung von Galaxien im frühen Universum.« [1]
Fotografie bringt etwas aus der Entfernung zu mir. Das Motiv kann mir fremd oder vertraut sein. Ich staune genauso über das mir Unbekannte, wie ich eine fremde Perspektive auf das mir Vertraute betrachte. Gleichzeitig stehe ich der Fotografie unmittelbar gegenüber und sage ihr ins Gesicht: »Ich weiß, was du bist.« Du bist Abbild, du zeigst Realität. Selbst die Eingriffe der Bildbearbeitung akzeptiere ich als etwas, das der Mensch der Realität anzutun vermag, um sich selbst als Wesen mit technischen Fähigkeiten zu erkennen und zu zeigen. Die Fotografie ist Vehikel von Botschaften mit verschiedenen Wichtigkeitsgraden auf einer Skala von banal bis relevant. Sie ist Medium aller Diskurse.
Zwei Dinge fallen mir bei der Betrachtung der Arbeit Seid ihr wheel? von A. K. und T. H. schnell auf. Zum einen fühle ich mich etwas schwach vor ihr, weil sie sich mir sprachlich zu entziehen scheint. Alles, was ich sagen könnte, wird schnell zur Plattitüde. Die Arbeit scheint sich mir in einer Weise zu verweigern, dass ich fast ein wenig wütend werde. (There are cars, light and darkness.) Das Andere ist der hohe Grad an Künstlichkeit, der in den Bildern steckt. Sie sind so artifiziell, dass ich vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen kaum an etwas anknüpfen kann. Ich suche nach einem Narrativ und finde keins. So werden meine zwei Beobachtungen eigentlich zu einer.
Selbst wenn die Fotografie offensichtlich idealisierte Realität wiedergibt, akzeptieren wir diese als Spiegel unserer Wünsche und Verallgemeinerung. Vielleicht ahnen wir sogar, dass wir Realität und Wahrheit sowieso selber herstellen. Ich sehe also 7 Bilder von enormer Künstlichkeit. Ich suche nach Überzeichnung, Bildmanipulation oder Schön- heitschirurgie und bekomme Nüchternheit. Ich sehe Zitate, Referenzen, Hochkultur in Styropor, Kitsch, Versace Imitat, Statussymbole, Stephen Kings Unbehagen in »Christine« [2] und Pose. Aber ich kann kein Zentrum ausmachen und mich auf nichts einigen. Auf der Ebene der Objekthaftigkeit herrscht Gleichberechtigung. Selbst der Mensch verliert sein Subjekt. Alles und nichts ist Staffage. Trotz aller Wiederholungen entsteht ein Vakuum-
Die Bilder be- und enthaupten und der Autor ist tot. Nach der Inflation der Zeichen kann es keinen Sinn mehr geben. Selbst Bewegung wird durch ein Zeichen für Bewegung repräsentiert. So offensichtlich steht das Auto, so offensichtlich ist der Zopf für seinen Schwung zu schwer. A. K. und T. H. haben der Fotografie Platz gemacht. Sie sind das Achsdifferential, das die Drehzahl der Räder ausgleicht, um hören zu können, was die Bilder zu sagen haben. Sie haben den hyperrealen Raum geschaffen, in dem nur ein Echo die Stille durchdringen kann. Zu guter letzt, in diesem Text oder im letzten Satz der Oper, stürzt der Artist in stillem Getöse aus einem Wagen und schließt den Kreis und das Ende wird zum Anfang.
Ich glaube, in diesen Bildern geschieht etwas, was in Malerei und Video schon lange erlaubt ist.